Aus der Praxis: Trinkgelder und Mehrwert­steuer

Trinkgelder fliessen in die Be­rech­nungs­grund­la­ge der Mehr­wert­steu­er ein

Im vergangenen Jahr war ungewiss, ob Trinkgelder in bestimmten Fällen in Zukunft steuerpflichtig sein könnten. Lange Zeit schien es so, als ob die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) an ihrer diesbezüglichen Position festhalten würde. Kurz vor Weihnachten hat sie jedoch ihren Standpunkt geändert.

Für meine Mandantin, die mit erheblichen Umsetzungsproblemen konfrontiert war, stellte diese Entscheidung ein unerwartetes Weihnachtsgeschenk dar. Da es sich jedoch um eine Gabe an alle Branchen handelt, in denen Trinkgelder üblich sind, möchte ich dieses Geschenk gerne weitergeben.

Um die weitreichende Bedeutung dieser Frage zu verstehen, ist ein Rückblick auf ihre Entstehung notwendig.

Meine Mandantin, ein Gastronomieunternehmen, hat sich aufgrund des stetigen Rückgangs des Bargeldverkehrs entschieden, den gesamten Zahlungsverkehr bargeldlos abzuwickeln. Die Gäste können ihre Konsumationen daher nicht mehr bar bezahlen. Infolgedessen wird das mit Kreditkarte bezahlte Trinkgeld über die Lohnbuchhaltung an die Mitarbeitenden weitergegeben. Trinkgelder ab einem bestimmten Betrag im Verhältnis zum Lohn eines Mitarbeiters unterliegen der Sozialversicherungspflicht. Durch die Auszahlung über die Lohnbuchhaltung kann unsere Mandantin sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden angemessen versichert sind und sich dies auch positiv auf ihre Altersrenten auswirkt..

Der Umfang der Trinkgelder lässt sich bei Barzahlung nicht genau bestimmen. Im Rahmen einer bargeldlosen Bezahlung können sie nun genau beziffert werden. Dies kommt nun auch den Behörden entgegen, die sich bisher aufgrund fehlender genauer Zahlen nur am Rande mit dieser Frage beschäftigt haben.

In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um die Mehrwertsteuer, sondern auch um Sozialabgaben und direkte Steuern.

Es macht Sinn, zunächst auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen und die publizierte Verwaltungspraxis zurückzugreifen.

AHV
AHV Art. 7 Bst. e AHVG und Art. 15 AHVV sowie Randziffer 2044 der Wegleitung zum massgebenden Lohn (WML) äussern sich sinngemäss wie folgt:

Trinkgelder und Bedienungsgelder gehören nur so weit zum massgebenden Lohn, als sie einen wesentlichen Teil des Lohnes darstellen.

Bis heute nicht abschliessend geklärt ist, was als wesentlicher Teil des Lohnes zu verstehen ist. Erste Abklärungen meiner Mandantin mit den zuständigen Behörden lassen darauf schliessen, dass ein solcher bei 10% oder mehr des Jahreslohns gegeben sein dürfte.

Direkte Steuern
Art. 17 Abs. 1 DBG besagt folgendes:

Trinkgelder sind Bestandteil des steuerbaren Lohns.

Diese an sich klare und absolute Aussage wird durch Randziffer 32 der Wegleitung zum Lohnausweis relativiert:

Trinkgelder müssen (nur) dann (im Lohnausweis) angegeben werden, wenn sie einen wesentlichen Teil des Lohnes ausmachen.

Auch hier fehlt es bis heute an einer exakten Definition der Wesentlichkeit. Es darf jedoch nach heutigem Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass die Steuerbehörden die Wesentlichkeitsgrenze genauso handhaben werden wie die Sozialabgaben.

Mehrwertsteuer
Zunächst definiert Art. 3 Bst. f MWSTG das Entgelt wie folgt:

Entgelt: Vermögenswert, den der Empfänger oder die Empfängerin oder an seiner oder ihrer Stelle eine Drittperson für den Erhalt einer Leistung aufwendet.

Auf den ersten Blick könnte daraus geschlossen werden, dass Trinkgelder immer Bestandteil des steuerbaren Entgelts sind, wendet ein Kunde diese doch zusätzlich auf. Die Frage aber ist, ob er sie tatsächlich für den Erhalt der Leistung aufwendet oder das Trinkgeld aus anderen Motiven entrichtet.

Die Frage kann jedoch letztendlich offenbleiben, weil die ESTV ihre diesbezügliche Verwaltungspraxis in der MWST-Branchen-Info 08 unter Ziffer 8.3 näher umschrieben hat:

Trinkgelder sind nicht Teil des steuerbaren Entgelts, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Der vom Gast versprochene Betrag muss vollumfänglich an die Mitarbeitenden ausbezahlt werden;
  • Die Auszahlung der Trinkgelder an die Mitarbeitenden muss vom steuerpflichtigen Hotelbetrieb belegt werden können;
  • Die Trinkgelder dürfen vom Hotelbetrieb nicht erfolgswirksam verbucht werden;
  • Das Trinkgeld muss separat in Rechnung gestellt werden;
  • Es darf in der Rechnung keine Steuer auf dem Trinkgeld ausgewiesen werden.

Anlässlich einer ersten Besprechung vertrat die ESTV die Ansicht, dass der erste Aufzählungspunkt nicht mehr erfüllt sei, sobald den Angestellten die persönlichen Sozialabgabebeiträge von den Trinkgeldern abgezogen würden, was immer dann der Fall sei, wenn diese sozialabgaberechtlich als massgebender Lohn gälten.

Wir hielten dem entgegen, dass dies eine zu enge Sicht der Dinge sei, flössen doch den Angestellten auch die zunächst abgezogenen Sozialabgabenbeiträge später in Form einer Rente durchaus wieder zu. Das Trinkgeld werde damit den Angestellten zwar nicht unmittelbar, aber zumindest mittelbar vollumfänglich ausbezahlt. Dieses Argument griff zunächst nicht.

Wäre die ESTV bei ihrer Auffassung geblieben, hätten sich viele Umsetzungsprobleme ergeben. Zu erwähnen wären beispielsweise:

ob die Wesentlichkeitsgrenze erreicht wird:

  • erfordert eine individuelle Klärung für jede angestellte Person;
  • Diese kann erst nachträglich (am Jahresende) festgestellt werden, was einen Rückblick erfordert;
  • Dennoch muss dies im Voraus bekannt sein, um eine korrekte Rechnungstellung mit Mehrwertsteuerausweis zu gewährleisten. Daher ist ein Blick in die Zukunft, quasi in die Glaskugel, notwendig.
  • Die Verteilung der Trinkgelder auf die einzelnen Steuersätze (z.B. bei Take-away mit alkoholischem Getränk)
  • ebenfalls im Lohnausweis dargestellt werden, neben dem Abzug der Sozialabgaben muss auch die Mehrwertsteuer erwähnt werden.

Nach einer erneuten Überprüfung der Angelegenheit hat mich die ESTV kurz vor Weihnachten informiert, dass sie die Trinkgelder auch dann als vollumfänglich an die Angestellten ausbezahlt betrachtet, wenn Sozialabgaben abgezogen werden.

Die anstehenden Umsetzungsprobleme beschäftigten meinen Kopf intensiv. Doch dann kam die vorweihnachtliche Erlösung. Es erfreut mich sehr, dass letztendlich eine vernünftige und vor allem praktikable Lösung einer allzu engen Auslegung des Buchstabens vorgezogen wurde.